Angesichts divergierender Zinszyklen beobachtet Grégoire Mivelaz, Fondsmanager bei Atlanticomnium, dass die politische Stabilität Europas sowie die Stärke seiner Banken das Interesse der Investoren wieder wecken.
10. November 2025
Bei den jüngsten Kundengesprächen stand ein Thema im Vordergrund: die Notwendigkeit, sich von US-Anlagen zu diversifizieren. Dabei ging es nicht darum, sich vom USD abzuwenden, sondern darum, das Engagement an den US-Märkten zu reduzieren. Europa erwies sich dabei durchweg als attraktive Alternative. Im Mai war der Anreiz zum Handeln noch gering. Angesichts der hohen Renditen der Federal Reserve (Fed) galten Geldmarktfonds als sicher. Da die Fed nun jedoch wieder Zinssenkungen vornimmt, steigt das Reinvestitionsrisiko, was Investoren dazu veranlasst, nach neuen Investitionsmöglichkeiten zu suchen. Wir glauben, dass Europa derzeit ein attraktives Ziel ist.
Die Bewertungen sind zwar angespannt, aber das muss nicht unbedingt abschreckend wirken. Für aktive Manager können teure Märkte Chancen bieten. Ein Kunde drückte es wie folgt aus :
Solange man Ausfälle vermeidet, eine starke Bonität beibehält und hohe Erträge erzielt, wird man Geld verdienen.
Genau das ist unser Ansatz. Mit einem durchschnittlichen Emittentenrating von A+ investieren wir in Anleihen mit dem Ziel der Kapitalerhaltung und konzentrieren uns dabei auf starke Namen. Unabhängig davon, ob der S&P von KI oder den Magnificent Seven angetrieben wird, sollten unsere Erträge intakt bleiben. Das ist der Reiz hochwertiger nachrangiger Schuldtitel: starke Kreditfundamentaldaten in Verbindung mit attraktiven Renditen.
Warum Europa
Abbildung 1: Fed und EZB haben ihren Lockerungszyklus begonnen (%)
Der entscheidende Faktor ist die Glaubwürdigkeit der Zentralbanken. Die Europäische Zentralbank (EZB) ist unabhängig, datenabhängig und, was entscheidend ist, die Inflation ist unter Kontrolle – genau das, was langfristige Investoren brauchen.
Im Gegensatz dazu hat die Fed nach einer neunmonatigen Pause die Zinssenkungen wieder aufgenommen, und die Märkte preisen trotz anhaltender Inflationsrisiken weitere Senkungen ein. Europa befindet sich unterdessen in einer viel stärkeren Position. Die Inflation ist unter Kontrolle, und das BIP der EU kann von fiskalischen Impulsen profitieren; allein Deutschland plant, in den kommenden Jahren 500 Milliarden EUR auszugeben1. Die Stimmung der Investoren spiegelt diese Stärke wider: Der DAX-Index ist seit Jahresbeginn um 21 Prozent gestiegen2.
Wir glauben, dass Europa ein guter Ort für Investitionen ist. Globale Investoren fühlen sich zunehmend von seiner Stabilität, seinen Chancen und seiner Dynamik angezogen.
Warum europäische Banken
Abbildung 2: Starke Outperformance gegenüber US-Konkurrenten
Aus Kreditsicht sind wir der Meinung, dass europäische Banken das sicherste Segment innerhalb liquider Kredite darstellen könnten. Wir investieren zwar nicht in ihre Aktien, aber die Aktienperformance ist ein nützlicher Indikator für die Marktstimmung. Die blaue Linie in Abbildung 2 zeigt die Aktienkurse europäischer Banken, die in den letzten drei Jahren um 100 Prozent und seit Jahresbeginn um 45 Prozent gestiegen sind. Besonders auffällig ist ihre konstante Outperformance gegenüber US-Banken, nicht nur in diesem Jahr, sondern auch in den letzten drei Jahren. Historisch gesehen galten US-Banken als grösser und stärker. Aber die Stimmung ändert sich. In Gesprächen stellen wir fest, dass die Überzeugung der Investoren in Bezug auf europäische Banken so stark ist, dass wir selten Argumente für sie vorbringen müssen.
Einige Gründe, heute nachrangige Bankschulden zu halten
Wenn es um nachrangige Schuldtitel geht, sprechen die Zahlen eine deutliche Sprache. Die Nachfrage nach Additional Tier 1 (AT1) Contingent Convertible Bonds (CoCos) am Primärmarkt hat seit Jahresbeginn 250 Milliarden EUR erreicht und damit das Emissionsvolumen von 42 Milliarden EUR weit übertroffen und sogar die Gesamtmarktgrösse von 220 Milliarden EUR überstiegen.3 Dieses Ungleichgewicht unterstreicht die ausserordentliche Nachfrage auf dem Primärmarkt, wo das Interesse der Investoren weiterhin das Angebot übersteigt. Dieser Anstieg des Interesses folgt auf das Ereignis bei der Credit Suisse im Jahr 2023, das eine Neubewertung dieser Assetklasse ausgelöst hat. Im vergangenen Jahr gab es mit 210 Milliarden EUR4 eine Rekordnachfrage nach europäischen nachrangigen Schuldtiteln, und 2025 ist auf dem besten Weg, diese Zahl deutlich zu übertreffen. Warum? Weil die Fundamentaldaten stärker sind als je zuvor.
Aus unserer Sicht gibt es drei gewichtige Gründe, heute nachrangige Bankschulden zu halten: Rendite, Zinsen und technische Faktoren.
- Rendite: Nachrangige Schuldtitel bieten hohe Erträge von hochwertigen Emittenten – eine seltene Kombination, die Renditen auf Investment-Grade-Niveau ermöglicht.
- Zinsen: Angesichts der aktuellen Zinssenkungen der Zentralbanken profitiert diese Assetklasse von einem günstigen makroökonomischen Umfeld, insbesondere bei Instrumenten mit längerer Laufzeit.
- Technische Faktoren: Eine starke und anhaltende Nachfrage stützt weiterhin die Preise, da Investoren Erträge ohne Abstriche bei der Bonität erzielen möchten.
Abbildung 3: Attraktive Renditeniveaus von nachrangigen Schuldtiteln (%)
Diese Abbildung zeigt die Rendite von AT1-CoCos europäischer Banken in den letzten zehn Jahren – denominiert in USD (blaue Linie) und EUR (graue Linie). Die Investoren wurden gut entschädigt. Allerdings befinden sich die Bewertungen derzeit auf einem Allzeittief, mit Anzeichen eines irrationalen Überschwangs. Das ist oft ein Signal, Vorsicht walten zu lassen. Nachrangige Schuldtitel waren in der Vergangenheit zyklisch, wobei auf enge Spreads oft Ereignisse folgten, die zu einer Ausweitung führten, wie z. B. die Handelsspannungen zwischen den USA und China, Befürchtungen einer Konjunkturabkühlung in China, Covid, die Invasion der Ukraine und Zinserhöhungen der Fed. Diese Ereignisse waren weitgehend kreditneutral, dennoch weiteten sich die Spreads aus. Obwohl der Sektor attraktive Erträge bietet, glauben wir, dass jetzt nicht der richtige Zeitpunkt ist, um CoCos überzugewichten.
Ein disziplinierter, dynamischer Ansatz
Als aktive Manager verfolgen wir einen aktiven Ansatz über die gesamte Kapitalstruktur. Wir halten weiterhin Kernemittenten über den gesamten Zyklus hinweg, verwalten jedoch aktiv die Allokationen zwischen vorrangigen, Tier-2- und AT1-Instrumenten.
Die Nachfrage der Anleger nach nachrangigen Schuldtiteln ist nach wie vor stark, aber die Erwartungen haben sich verschoben. Die Investoren von heute bevorzugen Manager, die flexibel und transparent sind. Unsere quantitative, regelbasierte Methode findet grossen Anklang, wie in unserem vorherigen Artikel „Navigating credit markets with a sailor’s mindset ” dargelegt. Aktives Management ist unser Wettbewerbsvorteil.
Grégoire Mivelaz ist Fondsmanager bei Atlanticomnium und verwaltet gemeinsam mit anderen Fondsmanagern „Credit Opportunities“- und Klimabond-Strategien für GAM Investments.
1Quelle: Europäische Kommission, „Die potenziellen wirtschaftlichen Auswirkungen der Reform des deutschen Finanzrahmens“, 19. Mai 2025.
2Quelle: Bloomberg, Stand: 31. Oktober 2025.
3Quelle: Atlanticomnium und Bloomberg, Stand: Oktober 2025.
4Quelle: Atlanticomnium und Bloomberg, Stand: Dezember 2024.