Julian Howard, Chief Multi-Asset Investment Strategist bei GAM, erläutert seine jüngsten Multi-Asset-Einschätzungen und ordnet ein, warum in einer nahezu beispiellosen Phase der Turbulenzen relative Ruhe an den globalen Aktienmärkten herrschte. Das Fehlen eines anlageklassenübergreifenden Konsens deutet auf Chancen und Risiken für Anleger hin, die nach Diversifizierung streben.
09. Juli 2025
Rückblick
Der MSCI AC World Index verzeichnete im 2. Quartal 2025 eine ausserordentlich starke Performance und erzielte eine Rendite von 9,5 Prozent* in Lokalwährung. Angesichts der geopolitischen Turbulenzen, die sich auf globale Anleger auswirkten, war dies recht ungewöhnlich. Das zweite Quartal war kaum ein paar Tage alt, da rief die Trump-Regierung den „Liberation Day“ aus, an dem pauschale Zölle auf Importe aller Handelspartner der USA erhoben wurden, mit der Androhung, dass noch mehr kommen werde, falls sie nicht zu Verhandlungen bereit seien. Überall auf der Welt brachen die Aktienmärkte ein, und Kommentatoren und Strategen überschlugen sich mit ihren Mutmassungen über das Ende der Welthandelsordnung, wie wir sie kennen.
Doch dann geschah Anfang April etwas völlig Unerwartetes – die Märkte erholten sich. Die genauen Gründe stehen in den Sternen, aber vermutlich hat diese Entwicklung viel mit dem fundamental soliden Zustand der US-Wirtschaft zu tun, in der die Arbeitslosigkeit nur knapp über vier Prozent liegt* und die Reallöhne im Jahresvergleich deutlich über ein Prozent gestiegen sind*. Die Veränderungen in der Retail-Investing-Landschaft waren ebenfalls zuträglich, da sich immer mehr junge Anleger in Diskussionsforen wie Reddit engagieren und auf App-basierten Plattformen wie Robinhood traden. Analysen von The Economist und Vanda Research haben gezeigt, dass diese neue Kategorie von US-Privatanlegern dem Dip-Buying zugetan ist, d. h. der Praxis, eine Anlage zu kaufen, nachdem sie im Wert gesunken ist. Dies war nach dem „Liberation Day“ besonders deutlich zu beobachten. Abseits der Aktienmärkte wurde die normalerweise ruhige Welt der Anleihen durch das neue US-Ausgabengesetz erschüttert, das Ende Mai mit nur einer Stimme Mehrheit vom Repräsentantenhaus verabschiedet wurde. Die Renditen 30-jähriger Anleihen schnellten in den USA wie auch im Rest der Welt in die Höhe, da ein nicht tragfähiger Anstieg des US-Defizits zu erwarten ist, das jetzt schon bei knapp sieben Prozent des gesamten Bruttoinlandsprodukts (BIP) liegt*. Im Vereinigten Königreich und in Japan befeuerte die über Erwarten hohe Inflation die Entwicklung der langlaufenden Anleihen dieser Länder weiter, während die Renditen deutscher Bundesanleihen aus „guten“ Gründen stiegen, insbesondere wegen des erwarteten Anstiegs der Ausgaben (und damit des Wachstums) für Infrastruktur und die Bundeswehr. Hier zeigte sich der Aktienmarkt ebenfalls zuversichtlich, auch wenn höhere Anleihenrenditen normalerweise einen höheren Abschlag und damit einen niedrigeren Kurs für alle Anlagewerte sowie höhere Kapitalkosten für Unternehmen implizieren.
Und als ob all das nicht schon genug wäre, wurden die Märkte im zweiten Quartal ein drittes Mal auf die Probe gestellt, als Israel (und später auch die USA) die iranische Atominfrastruktur angriffen. Der Präzedenzfall für diesen Präventivschlag ist der israelische Angriff auf den irakischen Reaktor Osirak 1981, daher war dieser Angriff angesichts des Scheiterns der Verhandlungen mit dem Iran im Grunde keine Überraschung. Ebenso wenig wie die erste Reaktion an den Märkten in Form eines sprunghaften Anstiegs der Ölpreise, des japanischen Yen und des Schweizer Franken sowie einer Aktientalfahrt. Doch dann kehrte wieder unerwartete Ruhe ein. Brent-Rohöl-Futures lagen bis zum Ende des Quartals unter 70 USD*; zum Zeitpunkt des russischen Einmarschs in die Ukraine waren es über 120 USD*. Und die Aktienmärkte setzten wieder zu einer Rallye an.
Abbildung 1: Unglaublich ruhig – die Märkte ignorieren einfach die Geschehnisse in der Welt
31. Januar 1990 bis 30. Juni 2025

Die Wertentwicklung in der Vergangenheit ist kein Hinweis für die zukünftige Wertentwicklung bzw. aktuelle oder zukünftige Trends.
Positionierung
Die Portfolios sind strukturell stets so positioniert, dass sie von den höheren Realrenditen profitieren, die Aktien in der Vergangenheit im Laufe der Zeit boten. Dabei werden sie mit sorgfältig ausgewählten und dimensionierten Diversifikatoren gemäss dem Risiko-Rendite-Profil der jeweiligen Multi-Asset-Strategie kombiniert. Die strukturellen Argumente für Aktien sind unserer Ansicht nach unverändert. Deshalb halten wir an unserem moderaten Engagement in Aktien fest. Bei regionalen Aktien bevorzugen wir ein geringfügig höheres Engagement in den USA gegenüber dem MSCI AC World Index, mit einer ähnlichen Positionierung in den immer noch unterbewerteten europäischen Aktien und Japan. In Bezug auf Schwellenländer und China sind wir angesichts der anhaltenden wirtschaftlichen Herausforderungen und der weiterhin bestehenden geopolitischen Risiken im Zusammenhang mit den Handelsspannungen mit den USA und der Taiwan-Frage jedoch etwas vorsichtig.
Abgesehen von Aktien konzentrieren wir uns konsequent auf eine effektive Diversifizierung. Staatsanleihen mit längerer Laufzeit, wie oben beschrieben, sind an sich zu Quellen unerwarteter Risiken geworden, weil sie sowohl eine höhere Inflation bedingt durch Zölle als auch eine potenzielle Risikoprämie aufgrund hoher Staatsdefizite einpreisen wollen. Unsere Diversifizierungsstrategie ist auf Staats- und Unternehmensanleihen ausgerichtet. Wir sind jedoch vorsichtig bei Anleihen mit sehr langer Laufzeit (die am sensibelsten auf Veränderungen der Wachstums- und Inflationserwartungen reagieren). Stattdessen bevorzugen wir eine Streuung verschiedener Ansätze und Anlagestile. Beispielsweise favorisieren wir kurzlaufende Anleihen und Geldmarktinstrumente, die immer noch attraktive risikobereinigte Renditeeigenschaften bieten. Nach unserer Einschätzung bieten Engagements in Staatsanleihen mit einer Laufzeit von ungefähr 10 Jahren einen angemessenen Schutz gegen einen Portfolio-Crash. Sorgfältig analysierte Investment-Grade-Unternehmensanleihen – sowohl mit kurzer als auch mit mittlerer Laufzeit – spielen ebenfalls eine Rolle bei der Generierung nachhaltiger Renditen. Darüber hinaus spielen auch hypothekenbesicherte, nachrangige Finanz-, Klima- und Versicherungsanleihen eine Rolle bei der Diversifizierung.
Ausserdem sind wir der Ansicht, dass ein moderateres Engagement in alternativen Investments angesichts des dringenden Bedarfs an absoluter Zuverlässigkeit, wie sie bei Aktien nicht unbedingt gegeben ist, sinnvoll sein kann. Je nach spezifischen Anlegerzielen könnten hier Long/Short Merger Arbitrage, Macro Trading, Immobilien und Gold infrage kommen. Gold profitierte in diesem Jahr bisher erheblich von der steigenden Unsicherheit. Damit setzt sich ein Trend fort, den wir bei diversen Krisen nach der globalen Finanzkrise von 2008 beobachten konnten. Die beschriebene Kombination der Anlageklassen ist – einfach ausgedrückt – darauf ausgelegt, an den langfristigen Gewinnen zu partizipieren, die der Aktienmarkt in der Regel erzielt. Gleichzeitig soll die Volatilität geglättet werden, die viele Anleger vermeiden möchten, wenn sie ihre langfristigen Anlageziele erreichen wollen.
Abbildung 2: Diversifizierung? Renditen langlaufender Anleihen steigen im Mai sprunghaft an
31. Dezember 2024 bis 30. Juni 2025

Die Wertentwicklung in der Vergangenheit ist kein Hinweis für die zukünftige Wertentwicklung bzw. aktuelle oder zukünftige Trends.
Ausblick
Normalerweise könnte man jedem Investmentausblick, der geopolitische oder politische Turbulenzen antizipiert, Glauben schenken, wenn darin gewarnt wird, dass die Märkte sofort in Aufruhr geraten. Ersteres wird wahrscheinlich eintreten, Letzteres ist nicht ganz so sicher. Das zweite Quartal des Jahres folgte einem etwas beunruhigenden Muster, nämlich dass eine Reihe extremer Ereignisse ohne nachhaltige negative Folgen für den Aktienmarkt blieben. Es stellt sich die Frage, ob das so weitergeht. In den nächsten Wochen und Monaten dürften unter anderem der Konflikt zwischen Israel und den USA und dem Iran auf seinen Höhepunkt zusteuern, die Verhandlungen über Trumps Steuer- und Ausgabengesetz „Big, beautiful bill“, das am 4. Juli, dem Nationalfeiertag, in Kraft gesetzt wurde (nachdem es mit nur einer Abstimmung am 1. Juli verabschiedet wurde), stattfinden und die Zollstreitigkeiten weitergehen, da verschiedene Verlängerungen und Gnadenfristen, die den Handelspartnern der USA gewährt werden, auslaufen. Und dabei wurde noch nichts Unerwartetes berücksichtigt, das – wie das Jahr 2025 bisher gezeigt hat – von überall und zu jedem Zeitpunkt kommen kann.
Die Tatsache, dass die US-Wirtschaft nach wie vor in guter Verfassung ist, ist ermutigend, und die USA stehen nicht vor dem Verlust ihrer inhärenten Wettbewerbsvorteile, wie unter anderem Managementqualität, technologische Stärke und Energieautarkie. Aber es sollte nicht ausgeschlossen werden, dass die Anleger plötzlich die Geduld verlieren, weil so vieles auf sie einstürmt. Der Rückgang des US-Dollars gegenüber den meisten wichtigen Währungen seit Jahresbeginn deutet auf eine stetige Kapitalflucht aus der grössten Volkswirtschaft der Welt hin, während der Anstieg bei Gold in jeder einzelnen Krise von den tiefgreifenden anhaltenden Sorgen über geopolitische Risiken zeugt, zu denen die USA selbst beizutragen scheinen. Es kann durchaus sein, dass selbst Privatanleger irgendwann das Drama aus Washington satt haben und ihr Engagement an den Aktienmärkten neu bewerten. Die Wall Street entwickelt unterdessen weiterhin neue Strategien, die darauf ausgelegt sind, diese unberechenbare neue Ära zu bewältigen – siehe beispielsweise den schnell wachsenden Sektor der Equity Hedged ETFs. Doch die traditionellen Multi-Asset-Allokationen aus Aktien und einem Mix aus Anleihen haben sich in diesem Jahr relativ gut entwickelt und können den Anlegern möglicherweise weiterhin einen risikokontrollierten Weg durch die Unsicherheit bieten.
Julian Howard ist Chief Multi-Asset Investment Strategist bei GAM Investments. Dieser Artikel gibt die Ansichten des Multi-Asset-Teams von GAM wieder.